Neue Gentechnik
Was dafür und was gegen die Neue Gentechnik spricht?! Im zwei Interviews werden verschiedene Meinungen gegenübergestellt.
Was für die Neue Gentechnik spricht
Viele Wissenschaftler sehen in der Neuen Gentechnik (NGT) eine Antwort auf brennende Fragen der Landwirtschaft. So auch Hannes Schuler und Simon Unterholzner, Wissenschaftler und Dozenten an der Freien -Universität Bozen. Sie fassen in diesem Beitrag zusammen, was für diese neue Züchtungsmethode spricht.
Die Landwirtschaft steht vor enormen Herausforderungen: Zum einen fordern die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und der Green Deal der Europäischen Union mehr Nachhaltigkeit, zum anderen steigt die Weltbevölkerung, bald sind zehn Milliarden Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Diese Ziele zu erreichen, wird noch schwieriger in einem Szenario der globalen Erwärmung und der damit verbundenen Extremwetterereignisse, mit Stressfaktoren wie Trockenheit und Überschwemmungen und der Einschleppung von Schadorganismen.
Klassische Züchtung ist zeitintensiv
Ein Werkzeug, um eine nachhaltige Pflanzenproduktion zu gewährleisten, ist der Anbau von Sorten, die tolerant oder resistent gegen abiotische und biotische Schadfaktoren sind. Dabei werden z. B. Resistenzgene aus Wildarten des Apfels oder der Rebe in Kultursorten eingekreuzt. Neben den gewünschten Resistenzmerkmalen werden dabei aber auch unerwünschte Merkmale mit eingekreuzt. Vor allem bei Arten mit komplexen Genomen (Apfel, Weinrebe, Weizen) ist die klassische Sortenzüchtung sehr zeit- und kostenintensiv. Mittels klassischer Züchtung wird es daher kaum möglich sein, solche Pflanzen zeitnah an neue Anforderungen anzupassen. Eine vielversprechende Möglichkeit, um dies zu erreichen, bieten biotechnologische Werkzeuge wie die Editierung der Genome, (z. B. Crispr/Cas). Dadurch können im Genom präzise Veränderungen ausgelöst werden, ohne dabei das ganze Genom der Pflanze zu verändern, wie es bei einer Kreuzung passiert. So können Resistenzen in bestehenden Kultursorten erzeugt werden, was vor allem bei Pflanzen mit Selbstinkompatibilität und langen Generationszeiten vorteilhaft ist. Auch wenn diese Methode noch relativ neu ist, war es bereits möglich, Erträge bei Weizen, Tomate und Mais zu steigern, glutenfreier Weizen, trockenresistenter Weizen und Resistenzen gegen Pathogene in Kulturpflanzen zu erzielen.
Keine unerwünschten Nebeneffekte
Im Gegensatz zu GMO-Pflanzen, die mit herkömmlichen genetischen Werkzeugen gezüchtet wurden und artfremde DNA enthalten, sind punktuelle Änderungen von genomeditierten Pflanzen nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden. Obwohl diese Änderungen auf natürliche Weise hätten entstehen können, sieht es das EU-Recht derzeit vor, dass genomeditierte Pflanzen mit GMO-Pflanzen gleichzusetzen sind und in der EU de facto nicht angebaut werden dürfen. In vielen Ländern außerhalb der EU werden genomeditierte Pflanzen von diesen Regelungen ausgenommen und dürfen ohne aufwändige, lange Zulassungsprozesse angebaut werden. Ein Vorschlag der EU-Kommission sieht nun vor, diese Regelung zu lockern, sodass ein Anbau von genomeditierten Pflanzen künftig ohne zusätzliche Zulassungsverfahren und Kennzeichnungspflicht möglich ist. Wissenschaftliche Studien haben nämlich gezeigt, dass punktuelle Änderungen an einer Pflanze keine unerwünschten Nebeneffekte auf deren Eigenschaften haben. Viele wissenschaftliche Institutionen plädieren deshalb für eine wissenschaftlich korrekte Bewertung des Endproduktes (das sich von einem natürlichen Produkt nicht unterscheidet), statt die Technologie zu bewerten, mit der es entstanden ist. Ähnlich wird eine Kennzeichnungspflicht gesehen: Neue gentechnische Methoden unterscheiden sich wesentlich von klassischen GMO-Pflanzen (die nach wie vor als solche gekennzeichnet werden). Daher wäre eine Gleichsetzung bzw. Kennzeichnung irreführend.
Chance auch für kleine Züchter
Oft wird auch vor dem Risiko gewarnt, dass Landwirte vor Abhängigkeiten von Konzernen stünden, die neue Sorten patentieren können. Während aber die Sortenentwicklung mit den alten gentechnischen Methoden – vor allem durch den aufwändigen Zulassungsprozess – nur von Großkonzernen finanzierbar war, könnten Lockerungen in der Zulassung genomeditierter Pflanzen bewirken, dass innovative kleine Züchter, Universitäten und Forschungszentren diese Technik anwenden können. So könnten künftig Apfel- und Rebsorten, die große Bedeutung für die Südtiroler Landwirtschaft haben, weltweit jedoch Nischenprodukte sind, an denen Konzerne kein wirtschaftliches Interesse haben, gezielt verändert werden, sodass sie einfacher angebaut werden können. Denn es gibt enormes Potenzial, Pflanzenschutzmaßnahmen zu verhindern und den Anbau nachhaltiger zu machen. Resistente Sorten mit neuen genetischen Methoden könnten also den integrierten Obst- und Weinbau viel effizienter und umweltschonender machen. Auch im Bioanbau gäbe es die Möglichkeit, den stark auf Kupfer und Schwefel basierten Pflanzenschutz zu optimieren. Es ist also zu hoffen, dass die Bioverbände ihre Entscheidung, sich von diesen Möglichkeiten auszuschließen, überdenken. hannes schuler und simon unterholzner

Hannes Schuler (l.) und Simon Unterholzner sind Wissenschaftler und Dozenten an der Uni Bozen.
Was gegen Neue Gentechnik spricht
Der Bioland-Verband steht der Neuen Gentechnik (NGT) sehr kritisch gegenüber. Anja Matscher, Agrarwissenschaftlerin und selbst Bioland-Bäuerin am Lechtlhof in Mals, fasst in diesem Beitrag zusammen, was gegen diese neue Züchtungsmethode und eine Deregulierung der Zulassung von NGT-Pflanzen spricht. In der aktuellen Debatte zur Neuen Gentechnik, die derzeit eigentlich kaum eine öffentliche Debatte ist, sondern bisher, wenn überhaupt, fast nur von landwirtschaftlichen Fachmedien aufgegriffen wurde, lässt sich Folgendes beobachten:
Risikobewertung gefordert
Die Forderungen der Konsumentinnen und Konsumenten nach Kennzeichnung und Risikobewertung werden ignoriert. Laut neuem Gesetzesentwurf der EU-Kommission für Pflanzen, die mit Verfahren der Neuen Gentechnik hergestellt werden, soll es weder eine Risikobeurteilung noch eine Kennzeichnung oder Rückverfolgbarkeit geben. Laut einer Befragung durch das forsa-Institut im September 2023 in Deutschland sind 96 Prozent der Befragten für eine Risikobewertung. Befürworterinnen und Befürworter der Neuen Gentechnik, egal ob in Wissenschaft oder Politik, auf europäischer oder lokaler Ebene, ignorieren diese Umfrageergebnisse bisher.
Nachweis schwierig
Der präzise Nachweis von Pflanzen, die mittels Verfahren der NGT geschaffen wurden, ist schwierig, vor allem solange keine Angaben zum Herstellungsprozess vorliegen. Wenn NGT-Pflanzen auf den Markt kommen sollen, so müssen zuerst Verfahren entwickelt werden, mit denen nachgewiesen werden kann, ob eine Pflanze mit diesen Methoden verändert wurde oder nicht. Wie können Bauern und Bäuerinnen ansonsten beim Einkauf von Saatgut sicher sein, dass es nicht mit NGT-Saatgut verunreinigt ist, und Konsumentinnen und Konsumenten beim Einkauf, ob die Lebensmittel wirklich frei von Neuer Gentechnik sind? Wie sollen Züchterinnen und Züchter wissen, ob das Ausgangsmaterial, mit denen sie neue Pflanzen entwickeln wollen, nicht gentechnisch verändert wurde?
Patentgesetz überarbeiten
Es entsteht der Eindruck, als wäre der Politik nicht klar, dass die Anwendung des derzeitigen europäischen Patentgesetzes auf NGT-Pflanzen die Landwirtschaft noch abhängiger von Saatgutkonzernen macht. Anders als in der konventionellen Pflanzenzüchtung sind bei den neuen gentechnischen Verfahren Patentanmeldungen sowohl auf die spezifischen Verfahren selbst (z. B. Crispr/Cas) als auch auf die mit dem jeweiligen Verfahren hervorgerufenen Pflanzen und Pflanzeneigenschaften möglich (z. B. auf die Eigenschaft „Schorfresistenz“). Das bedeutet, dass sich ein Patent in diesem Fall auf alle Pflanzen mit dieser Eigenschaft erstreckt, auch auf konventionell gezüchtete Pflanzen mit derselben Eigenschaft sowie auf bäuerliches, lokales und traditionelles Saatgut, ja sogar auf die daraus hergestellten Produkte. Unsere kleinbäuerliche Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion würde dadurch noch abhängiger von einigen wenigen Konzernen. Das heißt, bevor das europäische Patentge-
setz nicht entsprechend abgeändert wird, dürfen auch keine NGT-Pflanzen zugelassen werden!
Wahlfreiheit erhalten
Die Koexistenz von Bauernhöfen, die NGT-Pflanzen anbauen, und solchen, die keine anbauen wollen oder dürfen, ist bislang nicht geregelt. Völlig unklar und im neuen Gesetzesentwurf der EU-Komission nicht geregelt ist auch, wie Felder, auf denen NGT-Pflanzen angebaut werden, und Bioflächen, auf denen keine NGT-Pflanzen erlaubt sind, nebeneinander existieren sollen. Es besteht die berechtigte Sorge, dass Bauern und Bäuerinnen, die keine NGT-Pflanzen anbauen wollen, diese Wahlfreiheit genommen wird und sie letztendlich dazu gezwungen werden, die biologische Landwirtschaft bzw. gentechnikfreie Landbewirtschaftung aufzugeben.
Ganzheitliche Sichtweise
Resümee: Bei genauer Beobachtung zeigt sich, dass im Zusammenhang mit den NGT vieles noch nicht erforscht (z. B. Wechselwirkungen zwischen NGT-Pflanzen und Ökosystem) und auch nicht geregelt (z. B. Europäisches Patentgesetz) ist. Trotzdem wird von bestimmten Gruppen extremer Druck ausgeübt, um die Vorschriften für Zulassung und Anbau von NGT-Pflanzen zu vereinfachen. Der Einsatz solcher Methoden verlangt aber eine ganzheitliche Sichtweise. Die im europäischen Gesetzesentwurf vorgesehene Deregulierung ist teils sogar weitreichender als in der amerikanischen Gesetzgebung! Aktuell liegt im Umweltausschuss des EU-Parlaments ein schwedischer Änderungsvorschlag vor, der vorsieht, dass NGT-1-Pflanzen auch im Biobereich zugelassen werden sollen. Für den Bioanbau muss die Neue Gentechnik aber weiterhin verboten bleiben!

Anja Matscher aus Mals ist Agrarwissenschaftlerin und selbst Bioland-Bäuerin.