Hunderttausende Rohmilchproben werden jedes Jahr im Labor des Sennereiverbandes auf ihre Qualität untersucht. 

„Die Arbeit hat sich stark verändert“

Luis Kerschbaumer hat sein ganzes Berufsleben im Sennereiverband Südtirol verbracht. Dem „Südtiroler Landwirt“ hat er von der Entwicklung der Rohmilchkontrolle und technischen Neuerungen in den letzten Jahrzehnten erzählt – und was er sich für die Zukunft der Milchwirtschaft wünscht.

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Wirtschaft

Südtiroler Landwirt: Herr Kerschbaumer, Sie haben Ihr ganzes Berufsleben im Sennereiverband gearbeitet. Wie sind Sie eigentlich dort gelandet?
Luis Kerschbaumer:
Nach der Mittelschule habe ich auf einem Bauernhof in Lajen gearbeitet. Dort habe ich die Landwirtschaft und die Milchwirtschaft kennen- und lieben gelernt. Über einen Melkkurs kam ich zum Sennereiverband, wo ich zuerst im Labor angefangen habe und dann die Verantwortung für die Rohmilchkontrolle übernommen habe. 

Was hat Sie an der Arbeit im Bereich Rohmilch so fasziniert?
Mich haben die Tiere, vor allem die Kühe, schon immer interessiert. Im Verband konnte ich hinter die Kulissen schauen: Woher kommt Qualität? Was bedeutet sie für die Bauern? Ich habe gesehen, wie viel Fleiß Bäue-rinnen und Bauern in ihre Arbeit stecken. Das hat mich motiviert, sie mit meiner Arbeit zu unterstützen.

Können Sie sich an ein besonderes Erlebnis aus der Anfangszeit erinnern?
Ja, da gibt es viele. Einmal hat ein Bauer vor meinen Augen eine volle Milchkanne ausgeschüttet. Er war mit der Qualität nicht zufrieden und wollte offenbar vermeiden, dass wir die Probe ziehen können. Solche Erlebnisse zeigen, wie ernst Bauern ihre Verantwortung nehmen. Und sie haben mir bewusst gemacht, dass Rohmilchkontrolle ein entscheidender Teil der Wertschöpfung ist.

Wie sah Ihr Arbeitsalltag im Labor aus?
Im Labor werden Proben vorbereitet, gesammelt und untersucht. Später habe ich vor allem koordiniert: Abläufe organisiert, Chemikalien besorgt, Kontakte gepflegt – zu Milchhöfen, Sammelwagen-Fahrern, Behörden, aber auch zu anderen Laboren im In- und Ausland. Der Austausch war wichtig, um technologische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen.

Wie groß ist das Team im Labor?
Im ganzen Labor arbeiten rund 25 Personen, im Bereich Rohmilch elf. Viele haben einen landwirtschaftlichen Hintergrund, andere wurden bei uns gezielt ausgebildet und auf Schulungen geschickt. Der Bereich ist sehr speziell, deshalb braucht es eine Mischung aus Fachwissen und Praxisnähe.

Wie stark hat sich die Technik verändert?
Enorm. Früher haben wir alles per Hand gemacht: Proben ziehen, Keime auszählen, Ergebnisse aufschreiben. Heute laufen viele Schritte automatisch. Moderne Geräte schaffen bis zu 600 Proben pro Stunde und messen dabei 30 Parameter. Ergebnisse liegen sofort vor und sind viel zuverlässiger. Fehler durch Handschrift gibt es keine mehr.

Und wie bekommen die Bauern ihre Ergebnisse?
Das hat sich komplett geändert. Anfangs blieben die Resultate geheim, erst mit der Abrechnung erfuhren die Bauern, ob die Qualität gepasst hat. Heute informieren wir sie sofort. Erst per Fax, dann per SMS und E-Mail. Zuletzt haben wir über 400.000 SMS verschickt. Jetzt gibt es zusätzlich eine App. So können die Betriebe sofort reagieren, wenn ein Problem auftaucht. 

Wie hoch ist die Milchqualität in Südtirol heute?
Sehr hoch, im nationalen und internationalen Vergleich gehören wir zur Spitze. Das ist das Verdienst der Bäuerinnen und Bauern, die ständig an Verbesserungen arbeiten. Früher gab es mehr Liefersperren, heute sind sie selten. Qualität zahlt sich direkt aus, schlechte Qualität bedeutet Abzüge oder Sperren. Das motiviert, immer das Beste zu liefern.

Welche Rolle spielt die Beratung dabei?
Eine ganz entscheidende Rolle: Neben der Kontrolle gibt es die Milcherzeugerberatung. Sie unterstützt die Bauern bei Problemen und hilft, die Qualität zu verbessern. Kontrolle ohne Beratung würde nur Druck erzeugen. Die Kombination sorgt dafür, dass Südtirol heute auf so hohem Niveau ist.

Gibt es auch neue Parameter bei der Untersuchung der Rohmilchproben?
Ja, ständig. Früher hat man nur Säure oder Schmutz festgestellt, heute messen wir auch Harnstoff oder das Fettsäurespektrum. Das hilft, die Fütterung zu optimieren und die Käsereitauglichkeit zu bewerten. Sogar Trächtigkeit lässt sich aus der Milch erkennen. So wird aus jedem Liter Milch viel mehr Information gewonnen.

Der Sennereiverband zeichnet jedes Jahr den besten Milchlieferanten des Jahres aus. Wie schwierig ist es, bester Milchlieferant Südtirols zu werden?
Sehr schwierig. Die Qualitätsstandards sind streng, die Unterschiede zwischen den besten und den schwächeren Betrieben liegen heute bei vielleicht zehn bis 20 Prozent. Zu den besten Lieferanten zu gehören, ist sehr schwierig. Kühe sind Lebewesen, Futter ist nie identisch. Es braucht also viel Sorgfalt – und auch ein bisschen Glück.

Hat der Klimawandel Auswirkungen auf die Milchqualität?
Ja. Hitzeperioden bedeuten Stress für die Kühe, das wirkt sich auf den Zellgehalt aus. Auch die Futterqualität leidet unter Wetterextremen. Gute Jahre mit viel Heu bringen bessere Milch, nasse Sommer erschweren die Ernte und senken die Qualität. Unsere Bauern tun viel, um die Bedingungen zu optimieren, aber die Natur spielt eine große Rolle.

Und wie wirkt sich der Strukturwandel aus? Zum einen werden die Betriebe ja im Schnitt immer etwas größer, auf der anderen Seite lassen vor allem kleinere Betriebe die Milchlieferung auf …
Wir haben größere Höfe, aber auch Betriebe, die aufhören. Wichtig ist, dass junge Leute eine Perspektive sehen. In Südtirol gibt es glücklicherweise viele Bäuerinnen und Bauern, die Freude an der Landwirtschaft und an der Tierhaltung haben. Solange Milchgeld und Rahmenbedingungen stimmen, machen die Jungen weiter. Das ist entscheidend für die Zukunft.

Wie wichtig ist Qualität im Wettbewerb mit anderen Regionen?
Ohne Qualität keine Chance. Wir konkurrieren auf internationalen Märkten. Unsere Molkereien und Sennereien haben hervorragende Produkte, die dank der Landschaft, des Tourismus und des Fleißes unserer Bauern geschätzt werden. Aber die Anforderungen steigen, vor allem vom Handel. Umso wichtiger ist es, dass die Konsumenten hier bei uns in Südtirol bewusst einheimische Produkte kaufen.

Sie gehen jetzt in Pension. Was nehmen Sie aus dieser Zeit beim Sennereiverband mit?
Ich bin dankbar für all die Jahre. Ich durfte viel lernen und mit vielen Bäuerinnen und Bauern arbeiten. Meine Aufgabe als Verantwortlicher für die Rohmilchkontrolle weiß ich jetzt schon in guten und kompetenten Händen. Die Landwirtschaft bleibt mir im Herzen. Ich weiß, dass mein Bereich in guten Händen ist. Für mich beginnt jetzt eine neue Lebensphase, mit mehr Zeit für Natur und Familie. Aber die Verbundenheit zur Milchwirtschaft bleibt.  

Zu Gast bei „Zuaglost“

Luis Kerschbaumer ist auch Gast in der aktuellen Folge des Podcasts „Zuaglost“. Abrufbar ist das komplette Gespräch mit ihm unter dem Link zuaglost.podigee.io und auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Die Redaktion freut sich über Empfehlungen und Rückmeldungen zum Podcast.

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