„Gepflegter Bestand ist stabiler“

Seit rund fünf Jahren ist Günther Unterthiner Leiter der Landesabteilung Forstdienst. Im Interview erklärt er, wie sich der Südtiroler Wald nach Stürmen und Borkenkäferbefall entwickelt hat, welche Rolle dabei der Klimawandel spielt und warum Waldbesitzer mehr Wertschätzung verdienen.

Lesedauer: 8
Waldzertifizierung Wirtschaft

Günther Unterthiner ist auch in der aktuellen Folge des Podcasts „Zuaglost“ zu Gast. In dieser äußert er sich auch durchaus selbstkritisch über Entwicklungen der Forstpolitik in den vergangenen Jahrzehnten und zeigt mögliche Lösungswege auf. 

Südtiroler Landwirt: Herr Unterthiner, wenn man die Medienberichte der vergangenen Jahre aufmerksam verfolgt, dann scheint der Südtiroler Wald stark unter Druck zu stehen – Stichworte Borkenkäfer, Schneedruck und Sturmholz. Spiegelt dieses Bild die Realität wider – und wie ist die Situation heute?
Günther Unterthiner:
Vor 2018 war es im Wald vergleichsweise ruhig. Mit dem Sturm Vaia im Herbst 2018 änderte sich alles: 6000 Hektar Schadfläche mussten aufgearbeitet werden, was auch gut geklappt hat. Dann kamen die Schneedruckereignisse 2019 und 2020. Dieses Schadholz konnte nicht rechtzeitig aufgearbeitet werden, der Borkenkäfer breitete sich aus. Seit 2021 kämpften wir mit einer Kalamität. Heute, 2025, sind wir optimistischer. Kühle, feuchte Frühjahre haben die Entwicklung gebremst. Wir sehen heuer keine großflächigen neuen Schäden. (vgl. dazu Artikel in der aktuellen Ausgabe des Südtiroler Landwirt Nr. 16 auf S. 35) 

Ist Südtirol heute besser vorbereitet auf solche Krisen?
Ja, wir sind insgesamt besser aufgestellt, wir haben in diesen Jahren viel gelernt: schnellere Aufarbeitung, bessere Zusammenarbeit mit Waldbesitzern und bessere Kontakte zu verfügbaren Firmen. Die ­Strukturen sind ­eingespielter. Aber man muss ehrlich sein: ­Solche Ereignisse wie Sturm, ­Schneedruck, oder Käfer lassen sich nicht ausschließen. Besonders die Fichte bleibt anfällig. Wir können das Risiko senken, aber nie ganz verhindern.

Was passiert mit den großen Kahlflächen? Werden diese gezielt aufgeforstet oder lässt man der Natur freien Lauf?
Unsere Forstinspektorate bewerten jede Schadfläche einzeln. In Schutzwaldflächen handeln wir aktiv, mit Aufforstungen und technischen Maßnahmen. In weniger gefährdeten Lagen lassen wir die Natur arbeiten. Ziel ist es, klimafitte Mischbestände zu entwickeln. Die Fichte bleibt dort, wo sie hingehört, aber wir fördern gezielt Tanne, Lärche oder Laubbaumarten. Ohne konstante Pflege und gezielte Wildregulierung funktioniert das nicht.

Kritiker sagen: Weniger Fichten wären besser. Stimmt das?
Die Fichte wird oft verteufelt, dabei ist sie oberhalb von 1000 Meter Meereshöhe die natürliche Hauptbaumart in Südtirol. Sie bleibt auch künftig wichtig. Aber es stimmt: Reine Fichtenbestände sind anfällig. Wir brauchen mehr Mischung. Dazu gehört eben auch die Pflege, die lange vernachlässigt wurde. Gepflegte Bestände sind stabiler und besser gegen Schädlinge, Trockenheit und Stürme gewappnet.

Welche Rolle spielt der Wald im Klimawandel? Und wie ist der Wald selbst vom Klimawandel betroffen?
Der Wald ist Kohlenstoffspeicher und Rohstofflieferant zugleich. Er kann das Klima nicht retten, aber er leistet einen wichtigen Beitrag. Wichtig ist, Holz langfristig zu nutzen, etwa im Bau, damit der Kohlenstoff gebunden bleibt. Gleichzeitig leidet der Wald selbst unter dem Klimawandel: Längere Trockenperioden und Hitzewellen belasten besonders die Fichte. Schon 2003 haben wir gesehen, wie stark Föhren unter Hitze leiden. Der Wald braucht Unterstützung, damit er seine Klimafunktion erfüllen kann.

Wie kann der Schutzwald gesichert werden? In einem Gebirgsland wie Südtirol spielt er ja bekanntlich eine besonders wichtige Rolle …
Schutzwaldpflege ist unverzichtbar. Sie dient der Allgemeinheit, bringt den Eigentümern aber kaum zusätzliches Einkommen. Bisher wurde sie durch den Holzerlös abgegolten, doch das reicht nicht mehr. Deshalb arbeiten wir an weiteren Anreizen – sprich Förderungen –, damit Waldbesitzer von Schutzwaldflächen die für die Allgemeinheit wichtigen Pflegearbeiten leisten. Nur wenn der Eigentümer entschädigt wird, kann er diese aufwendige Aufgabe erfüllen. Nachhaltige, kleinflächige Nutzungen sichern die Schutzwirkung für die Zukunft.

Sie haben das Thema Förderungen und Erlös aus dem Wald angesprochen. Viele Waldbesitzer sehen in der Waldarbeit keinen wirtschaftlichen Anreiz mehr. Was tun?
Wir wissen es ja alle: Früher war der Wald Sparkasse, heute rechnet sich die Pflege oft nicht. Aktive Waldbesitzer nutzen Holz trotzdem, weil es als Rohstoff nach wie vor gefragt ist. Schwieriger ist es bei waldfremden Eigentümern, die oft nicht einmal wissen, wo ihre Flächen liegen. Hier brauchen wir neue Lösungen: Dienstleistungsbetriebe, die Pflege übernehmen. In anderen Ländern funktioniert das bereits. Wir müssen ähnliche Strukturen auch in Südtirol schaffen.

In der Waldagenda 2030 ist Holzbau ein wichtiges Ziel, auch die öffentliche Hand hat sich darin zu mehr Holzbau bei den eigenen Gebäuden verpflichtet. Wie läuft es?
Bis 2030 sollen 30 Prozent der öffentlichen Neubauten in Holz- oder Hybridbauweise entstehen. Das Ziel ist nicht nur in der Waldagenda, sondern auch im Klimaplan des Landes verankert. Um diesem Ziel näher zu kommen, haben wir unter anderem auch den Holzbaufonds eingerichtet. Elf Projekte wurden bereits unterstützt, weitere sind geplant. Gemeinden, Eigenverwaltungen und neuerdings auch gemeinnützige Organisationen profitieren davon. 
Wichtig wäre, in Zukunft auch private Bauherren einzubinden – etwa über die Wohnbauförderung. Südtirol hat enormes Potenzial, hier Vorreiter zu sein.

Große Waldbrände haben zuletzt Sorgen bereitet und für Schlagzeilen gesorgt. Wie gut ist Südtirol vorbereitet?
Südtirol hatte lange Glück: Die Feuerwehrstruktur sorgt dafür, dass Brände in der Regel rasch gelöscht werden. Neu waren in den vergangenen Jahren aber große Brände wie am Marlinger Berg, bei Schlanders oder oberhalb von Prad, die über 100 Hektar Wald betrafen. Wir müssen uns darauf einstellen. Es gibt bereits über 1100 Löschwasserteiche, die überprüft und instand gesetzt werden. Doch mit zunehmender Trockenheit brauchen wir mehr Speicher, die auch der Landwirtschaft nützen. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe.

Der Wald ist nicht nur Wirtschaftsraum und vielfach Privatbesitz, sondern auch Erholungsraum für Einheimische und Touristen. Gibt es Konflikte?
Ja, zunehmend. Viele sehen den Wald als Allgemeingut, doch zwei Drittel sind Privateigentum. Respekt fehlt oft: Wege werden selbstverständlich genutzt, obwohl sie privaten Eigentümern gehören. Wir wollen sensibilisieren: Erholung ja, aber nicht auf Kosten der Eigentümer. Eigentum muss respektiert werden, denn ohne das Mitwirken und die Bereitschaft der Grundeigentümer ist es nicht möglich, den Wald zu schützen und so zu erhalten, wie wir ihn haben wollen. 

Was ist Ihre Vision für Südtirols Wald?
Ein stabiler, vielfältiger Wald, der Schutz, Rohstoff und Erholung bietet. Dazu braucht es engagierte Waldbesitzer, die faire Unterstützung erhalten. Wichtig ist auch ein gesellschaftliches Umdenken: Der Wald ist keine Selbstverständlichkeit, sondern Ergebnis jahrzehntelanger Arbeit. Wir müssen heute die Weichen stellen, damit kommende Generationen einen gesunden Wald übernehmen. Das ist unsere Verantwortung. 

Günther Unterthiner leitet seit rund fünf Jahren die Landesabteilung Forstdienst.

Günther Unterthiner zu Gast bei „Zuaglost“

Wie kann die Politik die Waldbesitzer noch besser unterstützen? Und welche Rolle spielen die waldfremden Eigentümer für die Pflege des Waldes? Das ausführliche Gespräch mit Günther Unterthiner in der aktuellen Folge des Podcasts „Zuaglost“ liefert Antworten auf diese und weitere Fragen. Abrufbar ist die Folge unter dem Link zuaglost.podigee.io und überall dort, wo es Podcasts gibt. 

Interview: Bernhard Christanell

Weitere Artikel zu diesem Thema