Wie geht es mit dem Südtiroler Obstbau weiter: Diese Frage stellten sich auch in diesem Jahr die Teilnehmer der Obstbautagung in Meran.

„Jetzt die Gewohnheiten ändern“

Nicht der Klimawandel an sich war bei der 70. Obstbautagung vom Absolventenverein landwirtschaftlicher Schulen (ALS) das zentrale Thema, sondern wie man seine dramatischen Folgen einigermaßen mildern kann. Eines wurde in Meran deutlich: Handeln ist jetzt dringend notwendig.

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Produktion Wirtschaft

Das Thema Nachhaltigkeit bestimmt die öffentliche Diskussion – und wird das auch noch in den kommenden Jahren tun. Mit Nachhaltigkeit auf allen Ebenen will etwa die Landesregierung dem Klimawandel begegnen, und auch die einzelnen Sektoren der heimischen Landwirtschaft haben ihre Strategien dazu vorgelegt. Die Obstwirtschaft hat mit der Strategie „sustainapple“ einen Rahmen vorgelegt, innerhalb dessen – wie es ALS-Obmann Stefan Pircher eingangs darlegte – „jeder in seiner individuellen Situation etwas einbringen kann“. Dem Südtiroler Obstbau und dem Apfel werde es trotz Klimawandel auch weiterhin in Südtirol gut gehen. „Dass wir über das Klima sprechen, ist nichts Neues. Wir sind alle gefordert, im Umgang mit dem bereits stattfindenden Klimawandel eine praktikable Lösung zu finden“, unterstrich Pircher.

Klimaprognosen von 2003 sind weitgehend eingetreten
Eindringlich ins Gewissen redete den Teilnehmern der Obstbautagung im Meraner Kursaal Helga Kromp-Kolb vom Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. Bereits vor 20 Jahren war Kromp-Kolb bei der Obstbautagung zu Gast – und schon damals hatte sie vor den Folgen des Klimawandels gewarnt: „Ob es die steigenden Temperaturen, die Verschiebung der Jahreszeiten oder die neuen Schädlinge und Krankheiten nach oben sind – vieles von dem, was ich vor 20 Jahren an dieser Stelle angekündigt hatte, ist heute längst sichtbare Realität. Ja, wir können heute sogar in vielen Punkten deutlicher als damals nachweisen, dass Phänomene wie Starkregen, Spätfröste und Dürre mit dem Klimawandel zusammenhängen“, erklärte die Wissenschaftlerin. Bei der globalen Temperatur lägen wir derzeit bei 1,2 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau, vor 20 Jahren waren es noch 0,6 Grad. „Ob das Wachstum linear weitergeht – dann wären wir in 20 Jahren bei plus 1,8 Grad – oder ob der Temperaturzuwachs exponentiell steigt – dann wären es 2,4 Grad –, hängt ganz wesentlich davon ab, ob wir jetzt zu fossilen Energieträgern zurückkehren oder den Weg in Richtung erneuerbare Energien weitergehen“, betonte Kromp-Kolb.
Auch wenn die Südtiroler Obstwirtschaft mit der „sustainapple“-Strategie auf einem guten Weg sei, gelte es, die Anstrengungen weiter zu intensivieren. „Wir müssen damit rechnen, dass Wetterereignisse, wie wir sie 2022 in ganz Europa hatten – Dürre, Starkregen, Überschwemmungen, Hagel, Waldbrände usw. –, zur Regel werden. Wenn wir jetzt massiv umdenken und auch dementsprechend handeln, können wir die globale Erwärmung etwas verzögern. Wenn wir nichts tun, haben wir die dramatische Situation, die wir sonst am Ende des Jahrhunderts erwarten müssen, bereits um 2050 herum“, prophezeite Kromp-Kolb.
Nicht nur in der Gesellschaft, auch in der Art des Wirtschaftens und speziell in der Landwirtschaft müsse sich noch einiges ändern: „Wir müssen jetzt unsere Gewohnheiten ändern und lernen, nur das zu wollen, was wir innerhalb der Möglichkeiten der Natur haben können. Diese Änderungen müssen wir jetzt planen und umsetzen, wo noch die notwendigen Mittel verfügbar sind“, erinnerte Kromp-Kolb.

Clubsorte Kanzi® – neuer Klon ist in Sicht
Um ein völlig anderes Thema – die Entwicklung der Clubsorte Nicoter-Kanzi® – ging es im Vortrag von Martin van den Akker, Sortenmanager bei der Genossenschaft EFC. Die Sorte, die 1992 als natürliche Kreuzung zwischen Gala und Braeburn entstanden ist, ist heute eine der beliebtesten Clubsorten. Mehr als 2000 Erzeuger pflanzen derzeit die Sorte an und ernten mehr als 75 Millionen Kilogramm Äpfel. Van den Akker erklärte den Werdegang der Sorte, die Marketingstrategie dahinter und die Pläne für die Zukunft: „Der nächste Schritt ist die Einführung des neuen Klons ,Nicored‘, der leichter ausfärbt und daher weitere Vorteile bei der Vermarktung verspricht. Unser Ziel ist es immer, nur so viele Bäume zu pflanzen, wie später auch Äpfel verkauft werden können.“ Wie die Verteilung des neuen Klons erfolgt und wie Anbauer von Nicoter auf den neuen Klon umsteigen können werden, entscheiden in Südtirol die Erzeugerorgansationen VOG und VIP.

Italien hat am Obst- und Gemüsemarkt viel Boden verloren
Um aktuelle Daten und Entwicklungen im italienischen Obst- und Gemüsehandel ging es im Referat von Marco Salvi, dem Präsidenten der Vereinigung „Fruitimprese“. Er zeichnete ein wenig verheißungsvolles Bild von der Rolle Italiens am internationalen Markt für frisches Obst und Gemüse: „Italien war bei Zitrusfrüchten und Birnen lange Zeit Marktführer. Das hat sich geändert, auch weil viele Pflanzenschutzmittel nicht mehr verfügbar sind und die Produktion daher geringer ausfällt als früher. Bei Erdbeeren beispielsweise ist Italien in der Entwicklung stehen geblieben, Spanien und Griechenland haben die Produktion in den vergangenen Jahren massiv gesteigert. Speziell Spanien hat den Export im Obst- und Gemüsesektor – sowohl in der Menge als auch im finanziellen Volumen – seit 2008 verdoppelt“, berichtete Salvi. Zu dieser Entwicklung kam in den vergangenen Jahren eine wahre Kostenexplosion für die Produzenten: Bei der Energie gab es ein Plus bis zu 550 Prozent, bei der Verpackung zwischen 50 und 150 Prozent sowie beim Dünger um 100 bis 200 Prozent. „Die Kosten fallen in der Regel auf den Produzenten zurück, der in diesem Fall das schwächste Glied in der Kette ist“, unterstrich Salvi, der auch auf die Folgen der EU-Strategie „Farm to Fork“ hinwies: „Die Produktion wird weiter sinken, höhere Preise für Verbraucher und Produzenten sind die Folge. Auch der geplante Verzicht auf einen Großteil der Pflanzenschutzmittel bringt die Produzenten in Schwierigkeiten.“ Der Zusammenschluss von Betrieben sei ein Muss, um zu überleben, Südtirol sei mit seinem Genossenschaftswesen ein Vorbild dafür, dass man mit einer gemeinsamen Strategie mehr erreiche als mit Kirchturmdenken.
Landeshauptmann Arno Kompatscher ermutigte die Obstbauern, sich angesichts der bevorstehenden Herausforderungen aktiv einzubringen und an der Zukunftsfähigkeit des Südtiroler Obstbaus mitzuarbeiten. Landesrat Arnold Schuler erinnerte bei der Frage nach Alternativen zu den Pflanzenschutzmitteln an natürliche Gegenspieler und die Züchtung resistenter Sorten und rief dazu auf, der grünen Gentechnik „ohne ideologische Scheuklappen zu begegnen“.
Am Nachmittag folgten bei der Obstbautagung Fachvorträge zu gezielten Wassergaben mit Hilfe von Sensoren und Technik, neuen Erkenntnissen und Werkzeugen zur Präzisionsausdünnung für einen besseren und gleichmäßigeren Ertrag sowie zu Regeln und Beschränkungen bei Pflanzenschutzmitteln. ALS-Obmann Stefan Pircher betonte: „Wer glaubt, wir sind als Südtiroler Obstbau allen anderen voraus, ist im Irrtum! Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren und uns auch neue Technologien anschauen!“

Am Vormittag Gäste bei der Obstbautagung: (v. l.) Arnold Schuler, Helga Kromp-Kolb, Martin van den Akker und Marco Salvi

Bernhard Christanell

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