Land- und Forstwirtschaft: „Ein aufgeregtes Jahr“
Vom Borkenkäfer über die Goldgelbe Vergilbung bis hin zu Feuerbrand und Großraubwild: Der Agrar- und Forstbericht zeigt alle aktuellen Problemfelder auf. In der rund 230 Seiten starken Broschüre geht es aber auch darum, wie man sie in Griff zu bekommen versucht.
Die durch die Ukraine-Krise bedingten Kostensteigerungen, die extreme Witterung, der Borkenkäfer und das emotional besetzte Problemfeld Großraubwild machen den bäuerlichen Familien zu schaffen. Trotzdem müsse man optimistisch bleiben, denn Südtirols Landwirtschaft stehe insgesamt gut da, meinte Landesrat Arnold Schuler bei der Vorstellung des Agrar- und Forstberichts 2022: Ihm zur Seite standen Martin Pazeller, Direktor der Abteilung Landwirtschaft, Günther Unterthiner, Direktor der Abteilung Forstwirtschaft, Andrea Simoncelli vom Pflanzenschutzdienst des Landes, Camilla Wellenstein vom Kompetenzzentrum Pflanzenschutz der Freien Universität Bozen, Bildungsdirektor Gustav Tschenett und der Direktor der Abteilung Landesdomäne, Albert Wurzer.
Der Landesrat war darum bemüht, die Pluspunkte Südtirols hervorzuheben: „Wir sind ein kleines Land mit einer sehr klein strukturierten Landwirtschaft, in vielen Bereichen liegen wir aber doch im Spitzenfeld – und das weltweit“, unterstrich er. Dies sei einerseits den Genossenschaften geschuldet, andererseits sei man in Forschung, Aus- und Weiterbildung sowie Beratung gut aufgestellt und könne so dafür sorgen, dass die bäuerlichen Familienbetriebe Perspektiven haben und ihre Zukunft planen können. Während im restlichen Alpenbogen die Abwanderung von den Höfen ein Problem darstelle, sei hierzulande die Anzahl der familiengeführten Höfe über die letzten Jahre mehr oder weniger konstant geblieben – zum Wohle des gesamten ländlichen Raumes, des Landschaftsschutzes und der Artenvielfalt.
Weltweit im Spitzenfeld
Auch die wirtschaftliche Leistung der heimischen Landwirtschaft könne sich sehen lassen: „Die Auszahlungspreise im heimischen Weinbau sind deutlich höher als anderswo, im Obstbau ernten wir mehr Menge und auch in der Milchwirtschaft werden bei uns Rekordpreise ausbezahlt“, erklärte der Landesrat. Er räumte aber auch ein, dass die Zeiten komplex, die Probleme vielfältig sind: So sind zwei Drittel der Höfe auf einen Zu- und Nebenerwerb angewiesen, um sich wirtschaftlich abzusichern. Aber auch hier gibt es eine positive Meldung: Denn Südtirol ist bei Urlaub auf dem Bauernhof top. Und zwar nicht nur bei der Anzahl der Betriebe, sondern auch bei der Wertschöpfung, die sie erwirtschaften, erklärte der Landesrat.
Insgesamt solle der Agrar- und Forstbericht nicht nur als Nachschlagwerk dienen, sondern als Grundlage, um Entscheidungen treffen und Antworten auf die brennenden Herausforderungen der heimischen Landwirtschaft bereitstellen zu können.
Feuerbrand und Goldgelbe Vergilbung
„Aufgeregt“ sei das Jahr für die Landwirtschaft gewesen, sagte Martin Pazeller, Direktor der Abteilung Landwirtschaft. Und damit meinte er nicht nur für Bäuerinnen und Bauern, auch hinter den Kulissen sei es turbulent zugegangen: Um die neue EU-Förderperiode 2023–2027 in trockene Tücher zu bringen, habe es intensive Sitzungen in Rom und Brüssel gebraucht. Nun sei man – mit Verspätung – gestartet. Damit übergab Pazeller das Wort an Andrea Simoncelli, Inspektor des Landespflanzenschutzdienstes, der dessen Arbeiten vorstellte: „Unser Dienst hat die Aufgabe, die Pflanzengesundheit zu überwachen, etwa durch Sichtkontrollen auf Feldern, in Wäldern, Äckern und Obstanlagen oder durch das Entnehmen von Bodenproben (z. B. vor dem Anbau von Saatkartoffeln). Zudem stellen wir Zertifikate für den Export der Qualitätsprodukte in Nicht-EU-Länder aus“, erklärte er.
Insgesamt wurde 2022 auf 73 verschiedene Schadorganismen kontrolliert. „Dabei haben wir zwar keine neuen Quarantäne-Krankheiten oder -Schädlinge in Südtirol nachweisen können, allerdings sind altbekannte wieder aufgetreten“, berichtete Simoncelli. „So gab es insgesamt 52 nachgewiesene Feuerbrand-Fälle und vermehrt Fälle von Goldgelber Vergilbung, vorwiegend im Südtiroler Unterland, aber auch im Burggrafenamt“, zählte Simoncelli auf und mahnte, „die Goldgelbe Vergilbung darf nicht unterschätzt werden, sie kann zu einer großen Gefahr für den heimischen Weinbau werden!“
Borkenkäfer und Großraubwild
„Der Wald ist gestresst“, fasste Günther Unterthiner, Direktor der Landesabteilung Forstwirtschaft, die Situation seines Kompetenzbereiches zusammen. Das hänge mit Vaia im Jahr 2018, dem Schneedruck im Folgejahr und der Dürre der letzten zwei Sommer zusammen, ideale Voraussetzungen für den Borkenkäfer, der sich nun massenhaft vermehrt hat. Der Flug der Borkenkäfer ist heuer im Vergleich zum vorigen Jahr zwar zeitlich verzögert, die Auswertung der Pheromonfallen zeige aber, dass viele Borkenkäfer den Winter überlebt haben und er sehr aktiv ist. „Ende 2022 hatten wir 6000 Hektar befallene Fläche, in diesem Sommer ist mit einer weiteren Zunahme zu rechnen“, sagte Unterthiner. Mit besonderem Augenmerk beobachtet die Abteilung Forstwirtschaft den Schutzwald: „Zwei Drittel des befallenen Waldes sind Schutzwald, gut 30 Prozent davon sind Objektschutzwald, also Wald, der direkt Siedlungen und Infrastrukturen schützt“, erklärte Unterthiner. Den betroffenen Waldeigentümern greife das Land unter die Arme, so wurden 2022 beispielsweise über zehn Millionen Euro an Bringungsprämien für Schadholz ausgezahlt.
Zudem sei die Produktion von Jungbäumen in den Forstgärten erhöht worden, und zwar auch für alternative heimische Arten, darunter Laubbäume: „Wir werden aber ein Fichtengebiet bleiben“, unterstrich Unterthiner. Südtirol hat ideale Bedingungen für die Fichte. Deshalb wird sie weiterhin die wichtigste Baumart in unseren Wäldern bleiben“, erklärte er.
Zweites brisantes Thema aus der Forstwirtschaft sind die Großraubtiere. Das sei ein schwieriges Thema, weil man sich im nationalen Kontext nicht so bewegen könne, wie man wolle, meinte Unterthiner. „Derzeit liegt unser Schwerpunkt auf Beratung und Maßnahmen im Herdenschutz, auch in Form von Beiträgen“, fasste er zusammen. Von 2018 bis 2022 wurden insgesamt 32 Gesuche für Herdenschutz genehmigt. Zudem laufen zehn Pilotprojekte. An Schadensvergütungen für Nutztierrisse wurden 213 Anträge genehmigt und dafür 157.707 Euro ausbezahlt.
Das Interesse am Herdenschutz scheint zu steigen: Der Andrang zu den Kursen für Hirtinnen und Hirten an der Fachschule Salern ist sehr groß. „Die Kurse sind ständig überbucht“, berichtete Gustav Tschenett, Leiter der Landesabteilung Deutsche Bildungsdirektion. Auch andere Weiterbildungen werden gut besucht, beispielsweise die Ausbildungskurse für Urlaub auf dem Bauernhof, für Schule am Bauernhof oder die Junglandwirtekurse. Auch die Schülerzahl an den Fachschulen nimmt stetig zu, das sei wichtig für die Zukunft der Höfe, meinte Tschenett. Zum achten Mal sind in diesem Jahr Schülerinnen und Schüler der Fachschulen zur Matura angetreten.
Trauttmansdorff als Kompetenzzentrum
Auch die Uni Bozen kann mit Ergebnissen aufwarten. „Unsere Forschung spannt den Bogen von Obst- und Weinbau über das Thema Waldökosysteme und Lebensmittelproduktion bis hin zum Systemvergleich in der Milchviehhaltung“, berichtet Camilla Wellstein vom Kompetenzzentrum für Pflanzengesundheit der Universität Bozen. Zudem arbeite man an den Bereichen innovative Technologien und Energieeffizienz in der Agrar- und Forstwirtschaft und versuche, Anhaltspunkte für einen möglichen Umgang mit den Folgen des Klimawandels zu geben.
Von einem zukunftsweisenden Projekt erzählte Albert Wurzer, Direktor der Abteilung Landesdomäne und Herr über 75.000 Hektar Landesfläche. „Wir haben inzwischen alle Obstbauflächen der Domäne mit Feuchtigkeitssensoren ausgestattet. Über ein entsprechendes Programm werden die Daten gesammelt, die Tropfbewässerung schaltet sich nur dann ein, wenn die Saugspannung unter einen bestimmten Wert fällt, die Bäume also Wasser brauchen.“ So konnten sogar im trockenen Jahr 2022 rund 50 Prozent Wasser eingespart werden, durch verminderte Pumpzeiten auch Energie.
Zur Landesdomäne gehören auch die Gärten von Schloss Trauttmansdorff. „387.035 Besucherinnen und Besucher konnten wir dort im Jahr 2022 verzeichnen, immer mehr sind Familien.“ Stolz sei man darauf, dass Trauttmansdorff nach und nach zu einem Kompetenzzentrum für Pflanzenstärkung wird: Es werden kaum Pestizide eingesetzt, man setze verstärkt auf Kompostwirtschaft, Regenwürmer und andere Nützlinge kommen verstärkt zum Einsatz.
Die Landesdomäne arbeitet eng mit der Freien Universität Bozen zusammen: „Vor allem bei den Waldbewirtschaftungsplänen hat sich diese Kooperation bewährt“, erklärte Wurzer, man werde sie noch weiter ausbauen. Wie im übrigen Landesgebiet auch, hat der Borkenkäfer in den Wäldern der Landesdomäne Schaden angerichtet: Allein aus den Latemarwäldern mussten 18.000 Festmeter Käferholz gebracht werden. Inzwischen hat die Forstschule Latemar wieder das volle Programm an Kursen im Angebot. Sie werden gut besucht, vor allem die Ausbildungskurse für Jägerinnen und Jäger in italienischer Sprache erfreuen sich steigender Beliebtheit.