„Unfälle sind meist vermeidbar“
Martin Mair ist Arbeitsinspektor. Im Gespräch mit dem „Südtiroler Landwirt“ schildert er seine Erfahrungen mit Arbeitssicherheit, erklärt typische Gefahren in Landwirtschaft und Betrieben und betont, warum Prävention und Bewusstsein die wichtigsten Bausteine für Gesundheit am Arbeitsplatz sind.
Martin Mair ist auch in der aktuellen Folge des „Südtiroler Landwirt“-Podcasts „Zuaglost“ zu Gast. Das folgende Interview ist eine Kurzfassung des Gesprächs, das online abrufbar ist.
Südtiroler Landwirt: Herr Mair, Sie sind Arbeitsinspektor. Können Sie erklären, was Ihre Aufgabe ist? Wie sind Sie persönlich zu diesem Bereich gekommen?
Martin Mair: Das Arbeitsinspektorat hat die Aufgabe, in den Betrieben zu kontrollieren, ob die Gesetze zur Arbeitssicherheit und zum Gesundheitsschutz eingehalten werden. Es geht aber nicht nur ums Kontrollieren: Wir zeigen – gemeinsam mit Partner wie dem Südtiroler Bauernbund – auf, wo Gefahren bestehen, und geben Hinweise, wie man sie vermeiden kann. Ich habe nach meinem Studium im öffentlichen Dienst begonnen und bin dann in den Bereich Arbeitsinspektorat gekommen. Seither beschäftige ich mich mit Arbeitssicherheit. Es ist ein großes Feld, das viele Themen umfasst. Mir gefällt daran, dass man konkret mit Menschen zu tun hat und dass man mit der Arbeit indirekt dazu beitragen kann, Unfälle zu vermeiden.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Gefahrenquellen?
Die größten Risiken sehen wir im Umgang mit Maschinen, besonders mit dem Traktor. Viele schwere Unfälle passieren, weil Sicherheitsvorrichtungen nicht genutzt werden oder weil die Maschinen falsch eingesetzt werden. Dazu kommen Arbeiten in der Höhe, zum Beispiel auf Dächern, Leitern. Auch im Stall gibt es Gefahren, etwa durch Tiere oder durch enge Räume. Unsere Aufgabe ist es, darauf zu achten, dass die geltenden Regeln eingehalten werden – nicht der Regeln wegen, sondern damit die Menschen sicher arbeiten und gesund bleiben.
Wer legt die Regeln fest, die in Sachen Arbeitssicherheit in den Betrieben einzuhalten sind?
Das Thema Arbeitsschutz ist grundsätzlich auf europäischer Ebene geregelt, der Staat Italien muss diese Vorgaben der EU umsetzen und auch wir in Südtirol müssen uns daran halten. Früher hatten wir die Möglichkeit, auf Landesebene die Weitergabe der Informationen mit eigenen Kursen zu regeln, mittlerweile gibt es dazu Abkommen, die vom Staat gemeinsam mit den Regionen ausgearbeitet werden. Das bringt es mit sich, dass am Ende oft Bestimmungen herauskommen, die mit der Arbeitsrealität in unserem Land wenig zu tun haben. Gerade Verbände wie der Südtiroler Bauernbund sind aber immer bemüht, praktikable Lösungen zu finden.
Welche Rolle spielt das Arbeitsinspektorat bei der Umsetzung dieser Bestimmungen?
Unsere Aufgabe ist es, zu kontrollieren und aufzuzeigen, wo etwas verbessert werden muss. Wir geben Hinweise, setzen Fristen und, wenn nötig, greifen wir ein. Eine direkte Beratung können wir aus rechtlichen Gründen nicht anbieten, deshalb gibt es eben die vielen Aktionen gemeinsam mit unseren Partnern wie dem Bauernbund, der Bauernjugend. Es geht uns nicht darum, jemanden abzustrafen, sondern darum, dass weniger passiert. Die Verantwortung liegt bei den Betrieben selbst, wir können nur unterstützen und mahnen und müssen eben einschreiten, wenn es Verstöße gibt.
Viele fragen sich: Sind Unfälle nicht einfach Schicksal?
Nein, die meisten Unfälle sind vermeidbar. Natürlich kann man nicht jeden verhindern, aber viele wären nicht passiert, wenn man gewisse Regeln eingehalten hätte. Oft steckt Fahrlässigkeit dahinter oder die Haltung, dass es schnell gehen muss. Prävention bedeutet, Gefahren vorherzusehen und entsprechend zu handeln.
Welche Maßnahmen sind am wirkungsvollsten?
Es sind oft die einfachen Dinge: den Überrollbügel am Traktor nicht wegklappen, den Sicherheitsgurt benutzen, beim Arbeiten auf dem Dach eine Sicherung verwenden, beim Umgang mit Maschinen die Schutzvorrichtungen dranlassen. Und auch persönliche Schutzausrüstung wie Helm, Gehörschutz gehört dazu. Vieles ist vorhanden, wird aber nicht konsequent genutzt.
Viele ärgern sich, wenn mitten im größten Erntestress plötzlich auch noch ein Arbeitsinspektor unangemeldet in der Wiese auftaucht und seine Nase überall reinsteckt. Kann man das mit den Kontrollen nicht anders regeln?
Wir verstehen natürlich, dass in der intensiven Erntezeit jede Störung von außen eine zusätzliche Belastung ist. Andererseits ist es wohl auch nachvollziehbar, wenn wir die korrekte Ausstattung einer Maschine wie etwa einer Hebebühne, dann am sinnvollsten prüfen, wenn sie im Einsatz ist. Das Gleiche gilt für die Ausrüstung der Mitarbeiter: Eine Schutzausrüstung hilft wenig, wenn sie in der Garage am Haken hängt, sie muss auch bei der Arbeit getragen werden. Die allermeisten Betriebsleiter haben aber durchaus Verständnis dafür, dass wir unsere Arbeit machen und verstehen selbst, dass diese Vorgaben schon auch sinnvoll sind und keine Schikane.
Worauf ist gerade jetzt in der Erntezeit in den Tallagen besonders zu achten – abgesehen von der Hitze, die ja jetzt nicht mehr so extrem ist?
Es ist wichtig, dass die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter gut einschulen und ihnen erklären, wie sie ihre Arbeit möglichst gut und sicher verrichten können. Dazu gehört natürlich auch, dass sie sie darauf hinweisen, sich vor der Sonneneinstrahlung zu schützen und regelmäßige Pausen einzulegen. Das mag einem auch der gesunde Hausverstand nahelegen, aber wir wissen alle selbst, dass man im Eifer des Gefechtes auf manche Details nicht immer so genau achtet … Auch für diese Einschulungen gibt es seit einigen Jahren Unterlagen in verschiedenen Sprachen, sodass alle Erntehelfer die Möglichkeit haben sollten, sich zu informieren.
Wie sieht es in Südtirol insgesamt mit dem Thema Arbeitssicherheit aus, wenn Sie es mit anderen Regionen vergleichen? Und zeigt sich eine Entwicklung, wie sensibel die Betriebe mit dem Thema Arbeitssicherheit umgehen?
Wir haben hohe Standards, aber trotzdem passieren immer noch zu viele Unfälle – denn jeder Unfall ist einer zu viel. Vor allem kleinere Betriebe zögern, viel in Sicherheit zu investieren. Dabei zeigt sich immer wieder: Jeder Euro, den man in Prävention steckt, zahlt sich aus. Die Folgen eines Unfalls sind ungleich teurer – nicht nur finanziell, sondern vor allem menschlich. Das Erfreulichste sind die Zahlen, die beweisen, dass die Zahl der Unfälle immer weiter zurückgehen. Das mag durch die Berichterstattung oft anders erscheinen, aber die Statistiken sagen etwas anderes. Wir sehen das als Bestätigung, dass wir mit unserem Weg richtig liegen, gemeinsam mit unseren Partnern das Thema Arbeitssicherheit über verschiedene Kanäle zu den Menschen zu bringen.
Zum Abschluss: Was ist Ihre wichtigste Botschaft?
Dass Arbeitssicherheit kein Anhängsel ist, sondern Teil der Arbeit. Jeder Unfall, der nicht passiert, ist ein Gewinn. Es geht um Menschen, um Familien, um Existenzen. Sicherheit kostet Zeit und manchmal auch Geld, aber sie ist die Grundlage dafür, gesund zu bleiben und weiterarbeiten zu können.

Martin Mair: „Die Zahl der Arbeitsunfälle ist in Südtirol deutlich zurückgegangen.“