Verschiedene Fachjurys verkosten die Produkte, die das Qualitätssiegel „Roter Hahn“ tragen möchten, und entschieden über die Aufnahme.

Verkosten: Wie genau geht das?

Wozu dienen Verkostungen? Und wie laufen sie ab? Der „Südtiroler Landwirt“ hat darüber mit Hannes ­Knollseisen gesprochen. Der ausgebildete Käsesommelier leitet im Team die ­Produktverkostungen des Qualitätssiegels „Roter Hahn“.

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Service Roter Hahn

In den letzten Wochen fanden die Produktverkostungen des Qualitätssiegels „Roter Hahn“ statt. Dabei wurden 238 bäuerliche Produkte verkostet: von Joghurt und Käse über Chutneys und Tees bis hin zu Säften und Weinen. Verschiedene Jurys haben die bäuerlichen Produkte bewertet: Wenn sie einwandfrei waren, wurden sie als „Qualitätsprodukt“ aufgenommen. Falls die Experten der Meinung waren, es gebe noch Verbesserungspotenzial, wurden sie „mit Anmerkung“ aufgenommen. Bei groben Fehlern und Mängeln wurde ein Produkt nicht aufgenommen. Wie genau ein Produkt analysiert wird und wie man es professionell beurteilt, erklärt Hannes Knollseisen von der Abteilung Marketing im Südtiroler Bauernbund im Interview mit dem „Südtiroler Landwirt“. Er sagt auch: „Wenn man sich mit Sensorik auseinandersetzt, bereichert das, weil man bewusster genießen lernt und ein Gespür für Qualität bekommt.“

Südtiroler Landwirt: Herr Knollseisen, was ist das Ziel einer Verkostung? 
Hannes Knollseisen:
Eine Verkostung kann unterschiedliche Ziele haben: Man kann ein Produkt beschreiben, es vergleichen oder ganz einfach bewussten Genuss erleben – das wäre dann eine sogenannte ,hedonistische Verkostung'. In unserem Fall geht es um eine professionelle sensorische Prüfung. Ziel ist es, die Qualität eines Produktes objektiv zu beurteilen. Und das funktioniert nur, wenn man nach bestimmten Regeln vorgeht.

Was sind das für Regeln? 
Zum einen ist es wichtig, dass man vorbereitet in die Verkostung geht, d. h., man soll kein Parfüm tragen und keinen Kaffee trinken kurz vorher. Der Raum muss geruchsneutral sein. Man sollte sich genug Zeit nehmen für die Verkostung und unvoreingenommen hineingehen, zunächst gut reflektieren und aufschreiben, was man für Eindrücke hat. Dann erst geht man in die Diskussion.

Wie verkostet man aber richtig?
Man geht immer in der gleichen Reihenfolge vor, egal ob man Wein oder Käse verkostet: Zunächst schaut man das Produkt an, dann riecht man daran, dann schmeckt man und beurteilt gleichzeitig die Textur, die Geschmeidigkeit, also die Haptik des Produktes. Interessant ist ja, wir Menschen sind eigentlich ,Augentierchen‘, wir nehmen 87 Prozent aller Informationen über die Augen auf, neun Prozent über das Hören, und nur vier Prozent über Tasten, Fühlen, Riechen, Schmecken. Das heißt, das Auge ist unglaublich wichtig.

Was bedeutet das für eine Verkostung? 
Für die Verkostung bedeutet das, dass wir bei den Produktverkostungen des Qualitäts­siegels „Roter Hahn“ möglichst vieles ausschließen, was die Verkosterinnen und Verkoster optisch beeinflussen könnte: Wir anonymisieren alle Produkte und servieren sie auf den gleichen Tellern oder in den gleichen Gläsern, damit zumindest Form, Material und Farbe keinen Einfluss auf die Wahrnehmung haben. Beurteilt wird zunächst mit dem Auge, also die Farbe eines Produktes: Ist es milchweiß? molkeweiß? Oder etwa porzellanweiß? Strohgelb? Pfirsichgelb? Oder gar mangogelb? Das sind unterschiedliche Farbnoten, nur für die Palette weiß bis gelb. Man kann davon ausgehen, dass geschulte und geübte Verkostungsmitglieder bereits an der Farbe Fehler wie etwa eine mögliche ­Oxidation erkennen und diese Nuancen mit der selben Sprache definieren können. Das macht nämlich einen professionellen Verkoster aus …

Nach den Augen ist die Nase dran …
Genau, der zweite Schritt ist, an dem Produkt zu riechen. Das Interessante beim Riechen ist ja, dass wir Menschen darin besser sind als wir glauben. Wir können nämlich bis zu 10.000 verschiedene Gerüche wahrnehmen. Unsere Nase ist äußerst feinfühlig, geschulte Sensoriker können Gerüche sehr genau differenzieren und Fehler klar identifizieren. Ein Tipp: Man sollte beim ersten Schnuppern den ersten Eindruck festhalten – der ist meist der ehrlichste. Wenn man zu oft nachriecht, nimmt man oft nicht mehr viel Neues wahr. Und: Wer das Gefühl hat, von Aromen überfordert zu sein, kann zur Neutralisierung in die eigene Armbeuge riechen – das ,resettet' die Nase.

Nun sind wir beim Schmecken angelangt …
Genau. Wir können ja nur fünf Geschmacksrichtungen wahrnehmen: Süß, sauer, salzig, bitter und umami. Beim Kauen und Trinken werden Aromastoffe frei, sie gelangen über den Rachen zur Riechschleimhaut und werden mit den Geschmackseindrücken auf der Zunge kombiniert. Man spricht dann von olfaktorischer bzw. retronasaler Wahrnehmung. Um sie zu verstärken, sollte man während des Kauens bewusst durch die Nase atmen. Gleichzeitig geht es in diesem Verkostungsschritt auch um die Haptik, also die Textur eines Produktes, die im Mund wahrgenommen wird: Ist es geschmeidig oder knusprig? Crisp oder bröselig? 

Das alles klingt aufwändig. Wie kann man innerhalb doch recht kurzer Zeit viele Produkte verkosten?
Wenn ich beim Verkosten einen Vergleich machen muss, ist das in der Tat sehr anspruchsvoll. Dann sind die Sinne sehr schnell abgebraucht und man kann nur wenige Proben an einem Vormittag durchkosten. Wenn man aber nur den Fehler finden muss, ist man viel schneller. Da muss man sich zwar auch konzentrieren, kann aber viel gezielter vorgehen. Zudem werden die Sinne immer wieder aufgefrischt zumal man die Produktgruppen wechselt.  

Wie viele Produkte kann man am Stück verkosten? 
Also, wenn es bei der Verkostung ,nur' darum geht, Fehler zu finden, stößt man bei etwa 30 Proben innerhalb der selben Produktgruppe an die Grenze. Zwischendurch kann oder sollte man den Mund neutralisieren, mit Wasser und Weißbrot etwa. 

Inwieweit muss man beim Verkosten den persönlichen Geschmack außen vor lassen?
Man sollte an eine Verkostung natürlich so objektiv wie möglich herangehen, aber ganz kann man den persönlichen Geschmack wohl nicht ausschalten. Deswegen ist es wichtig, dass eine Kommission von drei bis fünf Personen verkostet. Weil dann die Gefahr geringer ist, dass eine Einzelmeinung das Ergebnis zu stark beeinflusst. 

Wie genau laufen die Produktverkostungen von „Roter Hahn“ ab? 
Alle Proben sind anonymisiert, niemand von der Kommission weiß, welches Produkt von welchem Hof stammt. Jede Verkosterin/jeder Verkoster bekommt zwischen drei und fünf Proben gleichzeitig serviert. Alle verkosten in Ruhe und machen sich Notizen, dann wird darüber diskutiert und zum Schluss abgestimmt: Es gibt folgende drei Optionen: Wird es als „Qualitätsprodukt“ eingestuft, also ohne Einwand aufgenommen, wird es „mit Anmerkung“ aufgenommen, d. h., die Produzentin/der Produzent bekommt eine Anregung oder einen Verbesserungsvorschlag, oder ist es „kein Qualitätsprodukt“ und wird nicht aufgenommen. 

Wie schaut in etwa die Durchfallquote aus?
In diesem Jahr sind von den 238 Produkten 20 durchgefallen. Eine Quote unter zehn Prozent ist ein guter Durchschnitt. Das war nicht immer so und hat sich in den letzten Jahren deutlich zum Positiven verschoben, immer mehr Produkte werden als Qualitätsprodukt aufgenommen. Weil sich Bäuerinnen und Bauern fachlich weitergebildet haben und großen Wert auf die Güte ihrer Produkte legen. Wir haben inzwischen durchwegs sehr hochwertige und exklusive Produkte. Darauf sind wir stolz, weil es belegt, wie sich das Qualitätsbewusstsein der bäuerlichen Direktvermarkterinnen und Direktvermarkter entwickelt hat. 

Hannes Knollseisen: „Sensorische Kenntnisse helfen, ein Gespür für Qualität zu bekommen.“

Interview: Renate Anna Rubner

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