Annemarie Kaser: „Manchmal muss man große Schuhe anziehen, um hineinzuwachsen.“

So unterschiedlich, so gut als Team

„Zwischen Kühen und Tschurtschen“ ist Annemarie Kaser aufgewachsen. Seit 2006 ist sie Direktorin des -Sennereiverbandes Südtirol und behauptet sich in einer eingeschworenen Männerdomäne. Sie ist überzeugt: „Gemischte Teams sind besser und schlagkräftiger – wenn jede/-r seine Rolle einnimmt.“

 

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Leben

Dasselbe Thema, derselbe Vortrag, unterschiedliches Publikum: Annemarie Kaser hat den Sennereiverband und die Südtiroler Milchwirtschaft dem Zonta- und dem Lions-Club vorgestellt. Der eine ist ein reiner Frauen, der andere ein reiner Männerclub. „Das war ein Schlüsselerlebnis für mich“, sagt die Direktorin des Sennereiverbandes Südtirol. Denn im Anschluss an den Vortrag wurden Fragen gestellt – die unterschiedlicher nicht sein könnten. „Im Lions-Club haben die Zuhörer ausschließlich wirtschaftliche Fragen gestellt, es ging rein um Fakten und Zahlen“, erklärt Kaser. Im Zonta-Club dagegen sei es in der Fragerunde um Themen wie Gesundheit, Nachhaltigkeit, Soziales gegangen. Das hat Annemarie Kaser lange beschäftigt. Nicht zuletzt durch diese Erfahrung ist sie zum Schluss gekommen: „Frauen und Männer haben unterschiedliche Ansätze, andere Sichtweisen. Gemeinsam aber decken sie das ganze Spektrum ab und können im Team unschlagbar sein, weil man gemeinsam alle Facetten zu berücksichtigen imstande ist und dadurch einfach die besseren Entscheidungen trifft.“

Keine Vorbehalte
Annemarie Kaser ist Jahrgang 1968, sie ist zunächst am Fallerhof, dann am Großplonerhof in Lüsen, „zwischen Kühen und Tschurtschen“ aufgewachsen. Schon als Kind hieß es für sie und ihre drei Geschwister – zwei Schwestern und ein Bruder – mit anzupacken. Der Vater war viel außer Haus, er war Bürgermeister im Dorf und auch sonst sehr engagiert. Daheim hatte also die Mutter die Zügel in der Hand. „Sie hat enorm viel geleistet – und tut es immer noch“, sagt Annemarie Kaser anerkennend.
Es war immer klar, dass der Bruder den Hof übernehmen würde, die drei Töchter machten die Matura, Annemarie wollte studieren und inskribierte für Agrarwissenschaften an der BOKU Wien. „Als Landpomeranze war ich in der Großstadt plötzlich ganz auf mich gestellt, ich musste mich alleine arrangieren“, erzählt sie und ergänzt, „das waren harte Zeiten, aber ich bin sehr gereift dadurch und habe sehr viel gelernt dabei.“
Nach dem Abschluss im Jahr 1992 ging sie für ein halbjähriges Praktikum an die Staatliche Molkerei Weihenstephan und arbeitete dort im Labor der Qualitätssicherung. Dann bewarb sie sich beim Sennereiverband und wurde dort zunächst für die Qualitäts­sicherung eingestellt. Schon bald erkannte ihr damaliger Chef Alfons Hainz, dass sie ihm als Assistentin hilfreich sein könnte und übergab ihr nach und nach immer mehr Aufgaben und Verantwortung. Als er schließlich 2006 in Pension ging und ein Nachfolger gesucht wurde, konnte sie sich in der Endrunde als einzige Frau unter lauter männlichen Bewerbern durchsetzen und bekam die Stelle. „Im Vorstand saßen damals nur Herren, trotzdem gab es keine Vorbehalte!“, erzählt Annemarie Kaser. So ist es bis heute geblieben, der Vorstand steht hinter ihr, die gut 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch.

Ohne Quote geht es nicht
Annemarie Kaser ist es gewohnt, in männlich dominierten Gremien zu sitzen. Das war im Verwaltungsrat von IDM so und ist es im Kammerrat und Kammerausschuss der Handelskammer Bozen. Sie ist überzeugt: „Die Frauenquote ist ein Muss, auch wenn es mir persönlich lieber wäre, es bräuchte sie nicht.“ Die Mischung sei gut, weil Frauen in Sitzungen oft distanzierter bleiben. „Und sie überdenken auch eher ihren Standpunkt, weil sie erkennen, dass das Ziel wichtiger ist, als recht zu behalten.“
Deshalb wünscht sie sich, dass immer mehr Frauen sich trauen, Verantwortung zu übernehmen und sich beispielsweise in die Verwaltungsräte der Genossenschaften wählen lassen. „Mit den Aufgaben wächst man, das hat mein Vater immer gesagt“, erzählt Annemarie Kaser und sie gibt ihm recht: Manchmal müsse man große Schuhe anziehen, um hineinzuwachsen.
Denn Frauen können mitgestalten, wenn sie nur wollen. Das beweisen sie tagtäglich auf ihren Höfen. Denn es seien meist die Frauen, die innovative Ideen haben, umgesetzt werden sie dann am besten gemeinsam, als Paar, als Familie.
Annemarie Kaser unterstreicht aber: „In Gremien hat jede und jeder ihre/seine Rolle einzunehmen, die institutionelle Rolle, dann wird man auch ernst genommen!“ Nach der Sitzung sei man wieder Privatperson, da könne es schon mal einen Umtrunk, eine „Hetz“ und ein persönliches Gespräch geben. Das dürfe nicht zu kurz kommen, aber eben alles zu seiner Zeit und im entsprechenden Rahmen.
Und manchmal sei es eben wichtig, nicht nett zu sein und alles abzunicken, sondern zu bohren und vielleicht auch unangenehme Themen anzuschneiden, Positionen zu vertreten. „Mit Nettigkeit allein verschafft man sich kein Gehör“, sagt Annemarie Kaser. Und obwohl sie dafür ist, Themen gemeinsam zu diskutieren und von allen Seiten zu beleuchten, müsse jemand schlussendlich doch eine Entscheidung treffen. Und dafür die Verantwortung übernehmen, auch wenn mal etwas schiefgeht. „Der Erfolg hat viele Väter, der Misserfolg ist ein Waisenkind“, auch das ein Spruch ihres Vaters. Sie hat kein Problem damit, Verantwortung anzunehmen, das hat sie wohl von ihm geerbt.


Dieser Beitrag ist Teil des Leuchtturm-Projektes LINSA2.0

 

 

 

Renate Anna Rubner

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