Gott wird in Jesus Mensch und kommt nicht in einem Festzimmer zur Welt. Er liegt in einer Krippe, in Einfachheit, in Dunkelheit – und bringt Licht.

Weihnachten – vom Warten auf das Licht

„Als tiefe Stille alles umfing und die Nacht in ihrem Lauf die Mitte erreicht hatte, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel herab“ steht im Buch der Weisheit. So bringt Gott mit der Geburt Christi Licht in die Welt. Wenn wir dafür Raum lassen, wird es Weihnachten in uns.

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Leben

Wie stellen Sie sich Ihr ideales Weihnachtsfest vor? Oft haben wir als Antwort das romantische Bild von Weihnachten mit Schnee und viel Zeit für Familie und Freunde vor Augen, das ein jähes Ende erfährt, wenn uns im August beim Einkauf im T-Shirt schon die ersten Lebkuchen und Schokonikoläuse begegnen und ab Anfang November Christbäume in manchen Wohnungen einziehen. Ganz zu schweigen von den Dekorations- und Keksrezept-Tutorials, die uns in den Sozialen Medien gezeigt werden. Es fühlt sich an, als würde jemand die Zeit vorwärtsdrehen. Alles muss früher sein, schneller gehen, perfekt vorbereitet sein. Und doch schleicht sich parallel ein merkwürdiger Beigeschmack ein: Je früher wir Weihnachten beginnen, desto weniger bleibt davon übrig. Spätestens am 26. Dezember halten viele es nicht mehr aus und die ganze Dekoration, der Baum und oft auch die Stimmung fliegen hinaus. Man ist bereit für etwas Neues – dabei hat Weihnachten streng genommen gerade erst begonnen. Diese Spannung zwischen Warten und Eile, zwischen Vorfreude und Überforderung prägt die ganze Advents- und Weihnachtszeit und vielleicht ist es genau dieser Widerspruch, der uns jedes Jahr neu herausfordert, dass wir ein gesundes Maß finden: nicht zu früh, nicht zu spät, nicht zu viel, nicht zu wenig. Sondern irgendwo dazwischen, wo Freude, Tiefe und echte Begegnung Platz haben. Es ist bemerkenswert, wie sehr Weihnachten Emotionen weckt. Freude und schlechte Laune liegen nahe beieinander. Wir wollen das „schönste Fest des Jahres“ mit Listen und Plänen organisieren, doch dem gegenüber stehen spontane Infekte, vergessene Zutaten, Streitigkeiten oder Kinder, die plötzlich doch nicht das wollen, was auf dem Wunschzettel stand. 

Der Advent als Balanceakt
Die Adventszeit ist ein Balanceakt zwischen dem, was wir planen, und dem, was uns geschieht. Zwischen To-do-Liste und Überraschung. Vielleicht gehört genau das dazu. Weihnachten ist nicht das Fest der Perfektion, sondern das Fest der Menschlichkeit und diese ist nun wirklich alles andere als vollkommen oder perfekt. Gerade als Eltern stellt man sich die Frage: Wie bringt man hier ein Gleichgewicht hinein? Wie viel Tradition braucht es, und wie viel Raum darf Neues haben? Wie erkläre ich meinen Kindern, dass Weihnachten nicht an dem Tag beginnt, an dem die Lebkuchen im Regal stehen? Wie erkläre ich ihnen, dass Vorfreude nicht darin besteht, alles möglichst früh zu kaufen und sofort aufzubauen, sondern darin, jeden Tag einen weiteren Baustein auf das entstehende Werk zu setzen? Wenn wir genau hinsehen, dann ist das gar nicht nötig, denn sie machen uns das Warten eigentlich vor. Kinder warten anders. Sie zählen nicht die Tage, die es noch auszuhalten gilt – sie zählen die Nächte bis zur Freude. Sie fiebern nicht gestresst, sondern strahlend. Sie sind die besten Vorbilder, um uns zu zeigen, wie man wieder richtig wartet. Viele von uns haben das nämlich vergessen. Außerdem gilt es, auch in der Fülle der Angebote Prioritäten zu setzen. Jeder Mensch und jede Familie setzt für sich fest, was zu ihrem persönlichen Advent und Weihnachten dazugehört. Niemand muss alles machen. 
Vielleicht reicht der schnell gekaufte Schokoladenadventskalender, aber dafür nimmt man sich Zeit zum Keksebacken oder Adventsgeschichtenvorlesen. Das Basteln kann ich auch mal Kindergarten und Schule überlassen und dafür nehmen wir uns als Familie vor, im Advent so oft wie möglich spazieren oder rodeln zu gehen. Wir dürfen das selber bestimmen. Das vergessen wir nur manchmal, weil uns in den Medien viele vermeintlich andere Ideale gezeigt werden. Gleiches gilt für die Geschenke. Ein Geschenk soll Freude bereiten – dem Empfänger und dem Geber. Wenn Schenken zur Pflicht wird, verliert es seine Schönheit. Ein kleines, liebevoll ausgesuchtes Geschenk kann mehr bedeuten als eine große Aufmerksamkeit, die nur Erwartungen erfüllen soll. Geschenke sind idealerweise ein Zeichen der Zuneigung und kein Leistungsnachweis. Wir müssen uns wieder neu darauf einlassen, dass der Advent kein Deko-Programm ist. Advent ist eine Haltung. Eine Prozedur. Die Adventszeit ist von ihrem Wesen her Vorbereitung – ein Weg, kein Dauerfeuer. Advent heißt übersetzt Ankunft und diese braucht Stille, Erwartung und Mut. „Advent halten“ bedeutet nicht, vier Kerzen anzuzünden und gleichzeitig durch die Wochen zu hetzen. Advent halten heißt: die Ankunft erwarten. Raum schaffen. Zur Ruhe kommen. 

Weihnachten passiert in der Stille
Was wir dafür als Belohnung erhalten, ist etwas Besonderes, denn kein Weihnachten gleicht dem anderen. Es kommt jedes Jahr wieder, aber die Umstände sind jedes Mal anders. Wir haben uns verändert und ebenso die Welt, in der wir leben. In manchen Jahren darf eine Familie ein neues Mitglied willkommen heißen – ein kleines Wunder, das alles heller macht. In anderen Jahren fehlt jemand. Eine Lücke wird spürbar, und dieses Fehlen auszuhalten, gehört ebenfalls zu Weihnachten. Denn Weihnachten ist ein Fest, das Freude und Schmerz gleichermaßen kennt. Es nimmt beides ernst. Die Bibel kündigt das erste Weihnachten bereits im Alten Testament auf eindringliche Weise an. Im Buch der Weisheit heißt es: „Als tiefe Stille alles umfing und die Nacht in ihrem Lauf die Mitte erreicht hatte, da sprang dein allmächtiges Wort vom Himmel herab“ (Weish 18, 14–15). Es ist ein Satz, der alles zum Klingen bringt. Weihnachten geschieht nicht in der lauten, flirrenden Betriebsamkeit. Es geschieht in der Stille, mitten in der Nacht. Es kommt unscheinbar, unerwartet, unspektakulär. Gott erscheint nicht, wenn wir fertig organisiert sind – sondern gerade dann, wenn wir es nicht sind. Wenn wir müde sind, überfordert, voller Fragen, voller Sehnsucht. Dann, in diese Dunkelheit hinein, „entspringt das Wort“. Licht bricht hervor, nicht weil wir alles im Griff haben, sondern weil Gott uns entgegenkommt. Dieses Kind in der Krippe ist keine Glitzerdekoration. Es ist eine Botschaft von Liebe, Nähe, Verletzlichkeit und Hoffnung. Wir brauchen nicht das perfekte Fest – sondern die gelebte  Menschlichkeit. Gott wird in Jesus Mensch und dieser kommt nicht in einem durchorganisierten Festzimmer zur Welt. Er liegt in einer Krippe, in Einfachheit, in Dunkelheit – und bringt Licht.
Vielleicht finden wir genau darin das richtige Maß für Weihnachten: Nicht im „Immerfrüher“ und „Immermehr“. Nicht noch mehr Glitzer, noch lautere Musik, noch teurere Geschenke und noch mehr Dekoration.  Nicht ständiges Funktionieren, sondern Raumlassen – für das Warten, für die Freude, für das Unerwartete. Für das Leben, das anders spielt, als wir es geplant haben. Für die Kinder, die uns zeigen, wie echte Vorfreude aussieht. Für das Licht, das in der Dunkelheit aufbricht. Für einen Gott, der uns entgegenkommt, nicht erst, wenn wir glänzen, sondern genau dann und dort, wo wir Mensch sind. Und vielleicht ist das der wichtigste Gedanke, den wir unseren Kindern – und auch uns selbst – mitgeben können: Weihnachten muss nicht perfekt sein. Es muss vor allem echt sein. 

Gabriele Hüttl Mair ist Diplomtheologin, Religionslehrerin und Wortgottesdienstleiterin. Sie stammt aus Augsburg (D) und lebt mit ihrem Mann und den vier gemeinsamen Kindern auf einem Bauernhof in Rodeneck, wo sie auch Mitglied im Ortsbäuerinnenrat ist. Ihre Erfahrungen aus Familie, -Glauben und bäuerlichem Alltag prägen ihre Beiträge.

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