Wer mitentscheiden will, muss wählen gehen!
Am Sonntag, dem 4. Mai wird in den meisten Südtiroler Gemeinden gewählt. Landeshauptmann Arno Kompatscher spricht im Interview über die Rolle der Gemeinden, Raumordnung, Natura 2000 – und warum es wichtig ist, zur Gemeinderatswahl zu gehen.
Von 2005 bis 2013 stand Arno Kompatscher seiner Heimatgemeinde Völs am Schlern als Bürgermeister vor. Parallel dazu war er von 2011 bis 2013 Präsident des Südtiroler Gemeindenverbandes. Heute ist er als Landeshauptmann in der Landesregierung unter anderem auch für die Gemeinden zuständig. Arno Kompatscher weiß also, worum es in der Gemeindepolitik geht und wo den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern der Schuh drückt. Im folgenden Interview und in der aktuellen Folge des Podcasts „Zuaglost“ spricht er einige dieser Themen an.
Südtiroler Landwirt: Herr Landeshauptmann, Sie haben selbst viele Jahre Gemeindeerfahrung. Was bedeutet es heute, Bürgermeister zu sein?
Arno Kompatscher: Das Amt ist mit enorm viel Verantwortung verbunden. Es ist heute vor allem in den mittelgroßen und großen Gemeinden längst ein Vollzeitjob – mit hohem persönlichem Einsatz, wenig Entschädigung (anders als man oft in den Medien liest) und viel öffentlicher Kritik. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister müssen nicht nur gestalten, sondern auch mit Buchhaltung, Rechtsvorschriften, Haftungsfragen und Kontrollen umgehen. Und das in einem Umfeld, wo der Respekt gegenüber Amtsträgern schwindet. Dennoch: Gemeindepolitik ist und bleibt die Art von Politik, in der man am meisten Erfüllung und Genugtuung erfährt. Und man erhält direkt Rückmeldung dazu, was man tut. Man sieht, was man weiterbringt, direkt in der Gemeinde. Das ist sehr schön zu erleben – und gerade deshalb braucht es mutige Menschen, die sich trauen, Verantwortung zu übernehmen. Zugleich ist die Arbeit als Gemeindeverwalter und Bürgermeister auch eine hervorragende Schule, wenn man sich später um höhere politische Ämter bewirbt. Das sieht man auch bei meinen beiden Vorgängern Silvius Magnago und Luis Durnwalder. Wir waren vor unserer Zeit als Landeshauptmann alle in führenden Rollen in der Gemeinde tätig.
Die Gemeinden haben heute mehr Geld zur Verfügung als früher. Aber wie steht es um ihre Entscheidungsfreiheit? Hat sich auch sonst die Gemeindepolitik im Vergleich zu früher geändert?
Gemeindepolitik ist ständig im Wandel, schon zu meiner Zeit war vieles anders als in den Jahrzehnten davor. Früher waren die Gemeinden oft in Geldnot. Mein Vater, der ja selbst Bürgermeister war, hat oft erzählt, dass sie damals in der Gemeinde keinen Knopf hatten. Projekte in den Gemeinden wurden oft auf der Grundlage umgesetzt: Dafür bekommen wir einen Beitrag vom Land, also setzen wir dieses Projekt um und nicht das andere, wofür wir nichts bekommen. Heute bekommen die Gemeinden Beiträge nach objektiven Kriterien – Einwohnerzahl, Fläche, spezielle geografische Gegebenheiten. Damit können die Gemeinden selbst entscheiden, ob sie einen Kindergarten sanieren oder einen Gehsteig ausbauen. Diese Umstellung war 2015 ein echter Systemwechsel. Natürlich gibt es weiterhin Sonderbeiträge für bestimmte Projekte oder für wirtschaftlich schwächere Gemeinden – aber die Grundausstattung ist heute besser und die Entscheidungsfreiheit größer. Und auch die Anforderungen an das Amt des Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin haben sich geändert. Mehr denn je muss er/ sie heute gut im Management sein, damit er/ sie die eigene Gemeinde in Griff hat.
Trotzdem hört man, dass viele Gemeinden bei den laufenden Kosten an ihre Grenzen stoßen. Wie sehen Sie das?
Das ist richtig. Bei Investitionen sind wir gut aufgestellt. Bei den laufenden Ausgaben wird es schwieriger – durch steigende Personalkosten, neue Anforderungen, angepasste Kollektivverträge. Gebühren für Müll, Wasser oder Abwasser decken oft nur die Dienstleistung selbst. Einnahmen aus der Gemeindeimmobiliensteuer GIS helfen, aber reichen in vielen Fällen nicht. Gerade kleine Gemeinden müssen wir hier stärker begleiten. Positiv ist aber: Die Verschuldung unserer Gemeinden wurde massiv reduziert. Von den ursprünglich über 1,1 Milliarden Euro wurde in den vergangenen Jahren ein ordentlicher Brocken abgebaut. Die meisten Gemeinden sind bald schuldenfrei, und das gibt Luft für die Zukunft.
Kommen wir zu einigen Themen, die gerade in den Gemeinden wichtig sind, und beginnen wir bei der Raumordnung. Das neue Gesetz für Raum und Landschaft hat für viele Diskussionen gesorgt. Warum?
Raumordnung betrifft das tägliche Leben – Wohnen, Arbeiten, Landwirtschaft. Da ist jede Änderung sensibel. Politisch ist das Thema Raumordnung eine ewige Baustelle. Das neue Gesetz war eine große Umstellung. Die Verfahren wurden neu geregelt, Zuständigkeiten anders verteilt. Ja, es braucht mehr Dokumentation, ja, es ist aufwändiger – aber es geht darum, unsere Landschaft zu schützen, den Kulturgrund zu erhalten und nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Planung ist keine Spielerei, sondern sehr aufwendig. Es braucht klare Siedlungsgrenzen, durchdachte Erweiterungen und Raum für die Landwirtschaft. Das ist anspruchsvoll – aber notwendig. Es hat jetzt relativ lange Zeit gedauert, bis sich die Gemeinden draußen an das neue Gesetz gewöhnt haben, aber mittlerweile läuft es immer besser.
Wie ist der aktuelle Stand in den Gemeinden?
Viele Gemeinden arbeiten derzeit intensiv an ihren Gemeindeentwicklungsprogrammen. Das ist die Basis für die zukünftige räumliche Entwicklung – und die muss gut überlegt sein. Es geht um Fragen wie: Wollen wir wachsen? Wo? Und wie viel? Welche Art von Betrieben wollen wir ansiedeln? Wie schützen wir unsere Nahversorgung und die bäuerliche Struktur? Und vor allem: Wie sichern wir leistbares Wohnen? Dieser Prozess erfordert Beteiligung – nicht nur im Gemeinderat, sondern auch mit der Bevölkerung. Denn hier werden Weichen gestellt, die weit über eine Amtsperiode hinauswirken. Wichtig ist mir zum Thema Raumordnung aber auch zu sagen: Die Politik entscheidet nach wie vor. Beamte geben Empfehlungen ab – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Natürlich muss die Politik eine gute Begründung haben, wenn sie vom Gutachten der Baukommission abweicht. Das letzte Wort hat aber immer der Bürgermeister oder der zuständige Gemeindereferent. Und: Es ist wichtig, dass in den Gemeinden vor allem beim Thema jene Leute mitreden, die vor Ort in den Gemeinden leben. Sie müssen hinter dem stehen können, wie sich die Gemeinde weiterentwickelt.
Leistbares Wohnen ist ein zentrales Thema – auch der aktuellen Landesregierung. Was ist das Ziel – und welche Rolle spielen dabei die Gemeinden?
Die wichtigste Maßnahme ist die Konventionierung. Wir müssen Wohnraum sichern – für Einheimische. Zu viel wurde in der Vergangenheit in touristische Nutzung überführt oder steht leer. Jetzt geht es darum, den Bestand besser zu nutzen und bei Neubauten zu 100 Prozent zu konventionieren. Der Grund und Boden ist begrenzt, und deshalb müssen wir verantwortungsvoll damit umgehen. Wohnraum darf nicht zum Spekulationsobjekt werden, sondern muss wieder dem ursprünglichen Zweck dienen: Familien ein Zuhause zu geben.
Ein weiterer Schwerpunkt: regionale Produkte in den öffentlichen Küchen. Wo stehen wir da – und warum fällt es vielen Gemeinden offensichtlich schwer, regional einzukaufen?
Es ist eine Frage der Gewöhnung und der Unsicherheit im Umgang mit Vergaberegeln. Dabei ist vieles möglich, und es hat sich schon viel getan. Mit dem Leitfaden – gemeinsam mit der Einkaufsgenossenschaft Emporium, dem Bauernbund und anderen Interessensvertretungen erarbeitet – haben wir eine gute Grundlage geschaffen. Viele Gemeinden haben erkannt, dass regionale Beschaffung möglich ist: über Direktvergabe, Rahmenverträge oder Ausschreibungen mit Qualitätskriterien. Anfangs war die Unsicherheit groß, doch wer es mittlerweile ausprobiert hat, sieht: Es funktioniert. Jetzt geht es darum, gute Beispiele zu verbreiten, Schulungen anzubieten und die Gemeinden zu begleiten. In jedem Bezirk gibt es gute Beispiele. Klar: Nicht alles ist immer und überall verfügbar. Aber vieles ist machbar – wenn man will.
Kommen wir zum heiß diskutierten Thema Natura 2000. Viele Bäuerinnen und Bauern – und auch die Gemeinden, die Flächen in den Natura-2000-Gebieten haben – fühlen sich überrollt – was sagen Sie zur Kritik?
Ich kann zum einen den Ärger verstehen. Nach Jahren ohne sichtbare Bewegung kommt plötzlich ein 800-seitiges Dokument auf dem Tisch – das wirkt überrumpelnd. Aber die Hintergründe sind ernst: Als die Natura-2000-Gebiete in Südtirol eingeführt wurden, haben wir einfach alle Schutzgebiete darunter zusammengefasst. Das war vielleicht ein bisschen blauäugig. Italien wurde mehrfach von der EU gerügt, weil unter anderem Südtirol bei Natura 2000 nicht geliefert hat. Rom hat uns aufgefordert, zu handeln, um ein Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden. Der Beschluss ist kein fertiges Maßnahmenpaket, sondern ein Einstieg – er bedeutet aber nicht, dass von heute auf morgen alle Regeln fix sind. Jetzt beginnt erst die inhaltliche Arbeit, mit den Gemeinden, den Bewirtschaftern und den betroffenen Flächen.
Was bedeutet das für die Bauern konkret?
Ziel ist es, dass die Bewirtschaftung auf diesen Flächen weiterhin möglich bleibt. Viele Almen und Wiesen wurden jahrzehntelang im Einklang mit der Natur gepflegt. Das wird anerkannt. Wo Einschränkungen notwendig sind, müssen wir gemeinsam Lösungen finden – und gegebenenfalls Kompensationen schaffen. Was wir nicht wollen, ist eine pauschale Bevormundung. Die Regeln kommen aus Brüssel, aber die Umsetzung muss realistisch sein. Deshalb werden wir versuchen, Lösungen im Einzelfall zu finden, möglichst unbürokratisch. Wir müssen jeden Fall einzeln prüfen – und versuchen, die Interessen von Natur und Landwirtschaft in Einklang zu bringen. Anders wird es nicht gehen.
Zum Abschluss: Warum sollten die Südtirolerinnen und Südtiroler am 4. Mai wählen gehen?
Weil Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Es gibt Länder, in denen Menschen für freie Wahlen ihr Leben riskieren. Bei uns ist die Beteiligung rückläufig – das ist schade. Auf den höheren politischen Ebenen – Rom oder Brüssel – kann man das ja noch nachvollziehen. Da ist die Politik weit weg, man sieht kaum oder nur indirekt, was die Politik entscheidet. Aber gerade auf Gemeindeebene ist es anders, und hier ist die Wahlbeteiligung entscheidend. Man kennt die Kandidatinnen und Kandidaten, sieht die Auswirkungen direkt. Wer nicht wählt, überlässt anderen die Entscheidung – dabei ist es ein Akt der Wertschätzung und Verantwortung. Auch ein gutes Team braucht Bestätigung. Auch wenn es gut läuft und man mit der Gemeindeverwaltung zufrieden ist, brauchen diese Personen den Rückhalt der Bevölkerung. Und natürlich ist es wichtig, dass alle Interessensgruppen gut in den Gemeinderäten vertreten sind. Wer mitreden möchte und will, dass etwas weitergeht, muss sich auch einbringen. Am 4. Mai haben wir alle die Chance, mitzuentscheiden. Bitte nutzen wir sie.