Wurzeln am Hof – Wissen im Kopf: mit Weitblick in die Zukunft

Viele junge Menschen in Südtirol wachsen mit der Landwirtschaft auf – zwischen Stall, Apfelwiese, Weinreben oder Wald, zwischen Tradition und Verantwortung. Wer einen Hof zu Hause hat, als Maturant oder Maturantin einer landwirtschaftlichen Oberschule ins Berufsleben startet oder sich für das Leben auf dem Land begeistert, trägt oft schon früh eine große Frage mit sich herum: Wie soll es weitergehen?

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An der Freien Universität Bozen gibt es für genau diese jungen Menschen ein Studienangebot, das beides verbindet: Praxisnähe und wissenschaftliches Know-how, Bodenständigkeit und Weitblick – dreisprachig und mit engem Bezug zu Südtirol. Der Bachelor in Nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft in Berggebieten richtet sich an alle, die ihr Grundwissen in diesem Bereich vertiefen möchten. Zudem bietet die Freie Universität Bozen ab Herbst einen neuen Masterstudiengang in Smart Sustainable Agriculture Systems in Mountain Areas an. Zwei, die sich bei diesem Thema genau auskennen, sind Prof. Hannes Schuler und der Forscher Thomas Zanon. Beide stammen aus Südtirol, beide haben die Land- und Forstwirtschaft im Blut und Wissenschaft im Kopf.

Blick über den Tellerrand

„Ich habe selbst einen Hof mit Tieren“, erzählt Thomas Zanon, Forscher im Bereich Nutztierhaltung und ehemaliger Student der Freien Universität Bozen. „Ich weiß, wie stark der Alltag eines bäuerlichen Betriebs von Tradition geprägt ist. Gleichzeitig sehe ich aber auch, wie sehr sich die Rahmenbedingungen ändern – politisch, klimatisch, wirtschaftlich.“ Für Zanon ist klar: Wer den eigenen Hof in eine gute Zukunft führen will, muss bereit sein, sich weiterzuentwickeln und den Blick über den Tellerrand zu wagen. Ein Studium könne dabei eine wichtige Rolle spielen. „Viele junge Leute bringen aus der Oberschule ein gutes Fundament mit, aber durch ein Studium kommt noch einmal eine neue Tiefe dazu. Sie lernen, kritisch zu denken und Dinge zu hinterfragen. Darüber hinaus können sie sich durch ihr Know-how besser anpassen und sind wesentlich resilienter – und genau das brauchen wir in der modernen Landwirtschaft.“

Wer den eigenen Hof in eine gute Zukunft führen will, muss bereit sein, sich weiterzuentwickeln

Thomas Zanon

Auch Hannes Schuler, Professor für Agrar- und Forstentomologie, hat den Weg über die Wissenschaft zurück in die Heimat gefunden. Nach Stationen in Wien und den USA ist er mit seiner Familie nach Südtirol zurückgekehrt. An der Freien Universität Bozen sieht er die Chance, das Beste aus beiden Welten zu verbinden: Forschung auf internationalem Niveau und tiefe Verwurzelung in der regionalen Praxis.

Nachhaltigkeit als Leitgedanke

Ein besonderes Merkmal des interdisziplinären Bachelorstudiengangs ist der Fokus auf Nachhaltigkeit. Im Zentrum stehen praxisnahe, wissenschaftlich fundierte Ansätze für eine zukunftsfähige Bewirtschaftung von Land- und Forstsystemen in Berggebieten. Und das in einer Region, in der Nachhaltigkeit nicht nur ein Schlagwort ist, sondern gelebte Realität. Die Studierenden können zwischen zwei Studienzweigen wählen: „Nachhaltige landwirtschaftliche Produktion“, mit Themen wie Obst- und Weinbau, Nutztierzucht und -haltung, Ackerbau sowie Pflanzenschutz- und Bewässerungstechniken und „Management der Forst- und Bergumwelt“, bei dem Forstökologie, Waldbewirtschaftung oder der Schutz von Bergökosystemen im Mittelpunkt stehen. Das neue Masterstudium vertieft dieses Wissen und legt einen besonderen Fokus auf intelligente Technologien, Ressourcenmanagement und multifunktionale Landwirtschaft, um innovative Lösungen für die zukünftigen Herausforderungen in diesem wichtigen Gesellschaftsbereich zu finden.

Prof. Hannes Schuler

Vom Stall in den Hörsaal – und zurück

Viele potenzielle Studierende stellen sich die Frage, wie sich ein Studium mit der Arbeit auf dem Hof, im Wald oder in einer landwirtschaftlichen Organisation vereinbaren lässt. „Was viele nicht wissen: An der Universität lässt sich der Stundenplan flexibel gestalten“, erklärt Schuler. Ab dem Studienjahr 2025/26 wird zudem ein Teilzeitstudium angeboten – ideal, um Studium und Beruf noch besser zu verbinden. „Das könnte zum Beispiel bedeuten: morgens im Stall, nachmittags in der Vorlesung – das ist möglich“, betont Schuler. „Wir haben dafür die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen.“

Dabei ist die Lehre keineswegs theorielastig. Im Gegenteil: „Wir haben die Inhalte unserer Studiengänge bewusst praxisnah gestaltet“, sagt Schuler. Neben klassischen Bereichen wie Pflanzenbau, Obst- und Weinbau, Tierhaltung und Umwelt ist nun auch die Forstwirtschaft fest im Studienplan verankert. „Das ist ein Wunsch der Stakeholder, dem wir nachgekommen sind – denn gerade im Berggebiet ist die Forstwirtschaft ein zentraler Bereich.“

Zanon ergänzt: „Wir unternehmen viele Exkursionen und arbeiten mit lokalen Betrieben, Organisationen und Verbänden zusammen. Denn es geht vor allem auch darum, mit der Praxis zu arbeiten – für die Praxis.“

Forschung mit Wirkung – von der Milchwirtschaft bis zum Borkenkäfer

Die Fakultät für Agrar-, Umwelt- und Lebensmittelwissenschaften verbindet Lehre mit angewandter Forschung, die sich durch Praxisbezug, Aktualität und politische Relevanz auszeichnet. Zanon beschäftigt sich beispielsweise mit allem, was mit dem Aktionsplan Berglandwirtschaft zu tun hat – von Zuchtfragen bis hin zur Arbeit im Versuchsstall und mit lokalen Betrieben. „Durch unsere Forschung liefern wir der Politik Zahlen und Erkenntnisse, die reale Auswirkungen haben – etwa bei der Umsetzung des Tierwohlsystems ClassyFarm oder in Bezug auf die Wirtschaftlichkeit in der Milchwirtschaft.“

Schuler forscht unter anderem zu Themen wie den Antagonisten des Fichtenborkenkäfers sowie dessen Überwinterungsverhalten oder der Bekämpfung von Pflanzenschädlingen in Apfel- und Weinkulturen – beides von großer Relevanz für Südtirol. „Unser Ziel ist es, Forschung auf internationalem Niveau zu betreiben, die gleichzeitig konkrete Probleme der Südtiroler Landwirtschaft aufgreift“, sagt er. Viele Oberschüler:innen seien überrascht, wie praxisnah und bedeutsam die Projekte der Universität sind. „Wenn wir erzählen, woran wir forschen – und wie unsere Arbeit der Südtiroler Agrarwirtschaft und Umwelt konkret zugutekommt, sieht man oft dieses Staunen in den Augen“, sagt Zanon. „Dann wird klar: Das ist nicht nur ein Studium, das ist ein Werkzeug für die eigene Zukunft.“

Ausbildung als Investition – für sich selbst und für die Landwirtschaft

Und warum lohnt sich das Ganze? Für Schuler ist die Antwort eindeutig: „Wer heute maturiert, steht 40 bis 50 Jahre im Berufsleben. Da sind ein paar Jahre Studium eine sinnvolle Investition – besonders, wenn sie neue Perspektiven eröffnen.“ Einige der Absolvent:innen kehren zurück auf den elterlichen Hof, andere finden ihren Weg in landwirtschaftliche Organisationen, Verbände, die öffentliche Verwaltung oder Unternehmen der Agrarbranche. Was sie alle eint: Sie bringen wertvolles Know-how und Offenheit für Innovationen mit. „Unsere Landwirtschaft ist im Wandel – und sie braucht junge Leute, die diesen Wandel gestalten können“, sagt Schuler. Ein Studium könne dabei helfen, Ideen zu entwickeln, neue Wege zu denken und zugleich bewährte Stärken zu erhalten – sei es ganz allgemein oder mit Blick auf den eigenen Betrieb.

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